Behind the Scenes: Szenen löschen. Der Supergau? (mit Annie Laine)
Immer wieder hören wir von Autor*innen, die furchtbare Angst haben, im Lektorat Szenen löschen zu müssen. Natürlich, man hat hart an dem Buch gearbeitet und viel Zeit, Energie und Herzblut in alle Szenen gesteckt. Doch manchmal gibt es Projekte, bei denen wir ganze Passagen löschen müssen. Wie sich das anfühlt, ob es sich lohnt und warum Lektor*innen das veranlassen, besprechen wir mit Annie Laine.
In ihrem neuesten Young-Adult-Sommerroman Träum nicht von Liebe hat sie auf Wunsch ihrer Lektorin Klaudia sogar eine komplette Figur gestrichen. Die Leser haben Zicke Gabby, die der Protagonistin Maya den Love-Interest Matt streitig machen sollte, nie kennengelernt. Wieso nicht?
Autorensicht
„Gabby ist nicht der erste Charakter, den ich in meiner bisherigen Autorenlaufbahn aus einem Skript gestrichen habe. In den letzten Jahren ist bereits die ein oder andere Figur im Prozess umgekommen, wurde hinzugefügt oder hat eine wichtigere Rolle erhalten, als ursprünglich geplant.
Gabby, die mir ohnehin nicht am Herzen lag, ist nur eine von ihnen, und sie aus dem Text zu löschen, ist mir nicht schwergefallen. Im Gegenteil: Es hat richtig gutgetan. Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen? Diese Frage stelle ich mir während der Lektorate mit Klaudia oft. Meist liegt die Lösung auf der Hand, aber ich bin zu betriebsblind, um sie zu sehen. Auch bei Gabby war das der Fall. Ich war davon überzeugt, dass ich ihren Charakter brauche, um daraus einen Konflikt zu schaffen, aber Klaudia hat mich vom Gegenteil überzeugt.
Als ich danach die Handlung überdacht habe, wurde mir klar, dass Gabbys Anwesenheit die Handlung nicht beeinflusst und ich ihre Szenen leicht aus dem Text nehmen kann, ohne viel zu ändern. Die anknüpfenden oder darauf Bezug nehmenden Szenen konnte ich mit einigen leichten Veränderungen behalten und ich muss ehrlich sagen, dass mir die finale Version, die mit deutlich weniger Drama auskommt, viel besser gefällt.“
Lektorensicht
„Ich las, entdeckte Gabby und wusste: Weg mit ihr. Meinen Autor*innen, vor allem im Bereich Liebesroman, gebe ich immer mit auf den Weg, dass wir toxische Formulierungen ebenso vermeiden wollen wie Charaktere, deren einziger Zweck darin besteht, im Vergleich zu Protagonist*innen schlechter abzuschneiden.
Zwei Menschen können nicht gegeneinander aufgewogen werden. Bei Gabby hat es sich um eine Nebenbuhlerin gehandelt, die nur dazu da war, dass sich Maya ihrer Gefühle zu Matt bewusster wird, und um als Hindernis zwischen den beiden zu agieren. Ihre Persönlichkeit bestand darin, schlechter zu sein als Maya. Hätten wir Gabby eigenes Buch geben wollen, hätte sie als Charakter ohne Maya und Matt nicht funktioniert, weshalb ich Annie vorgeschlagen habe, sie zu streichen.
Wenn ich Nebencharaktere streiche, dann häufig, weil sie nur einen einzigen Zweck erfüllen, aber keinen eigenen Lebensweg besitzen. Sie sind also ein Plot Device, nur ein Mittel zum Zweck – und damit verliert das Buch an Spannung, denn sie präsentieren etwas auf dem Silbertablett, das Protagonist*innen nicht mehr selbst beschaffen oder einsehen müssen. Diese Streichung tut meist nicht weh, denn solche Charaktere wachsen Autor*innen in der Regel nicht ans Herz – genauso wenig wie Gabby Annies Liebling war.“